Von einer ungehorsamen, aber friedlichen Aktion, die sehr brutal aufgelöst wurde

Von lhs

Ich bin in der Dresdner Klimaszene, aber nicht bei der Letzten Generation aktiv. Trotzdem wollte ich mir die „Ungehorsame Versammlung“ der Letzten Generation am Dresdner Carolaplatz am 27.04.24 ansehen. Der erste Teil der „Ungehorsame Versammlung“ war angemeldet und öffentlich angekündigt. Das Format war durch die Letzte Generation im Vorfeld bekannt gemacht worden.

Ab 12 Uhr versammelten sich rund 50 Aktivist:innen auf dem Carolaplatz neben und auf dem Gehweg. Die Stimmung war friedlich, es gab Redebeiträge und Livemusik. Das Wetter war sehr schön. Von Anfang an waren viele Polizist:innen vor Ort. Sie trugen keine Helme und sahen entspannt aus.

Der Ungehorsam beginnt

Gegen 13 Uhr endete die angemeldete Versammlung. Um ca. 13:10 Uhr versuchten Aktivist:innen, auf die Straße zu gelangen. Die Polizei hatte sich bereits vor der Fahrbahn positioniert. Einige Aktivist:innen gelangten auf die Straße und setzten sich hin, ohne sich festzukleben. Viele Aktivist:innen wurden aber auch zurückgehalten und zurückgeschubst.

Einige Aktivist:innen wurden ohne nachvollziehbare Auswahl – und ohne Vorwarnung – u. a. an einem Bein oder Arm von der Fahrbahn geschleift. Der Fahrbahnabschnitt war zu diesem Zeitpunkt bereits für Verkehrsteilnehmer:innen gesperrt. Ich konnte keine akute Gefahr für diese oder die Polizist:innen erkennen. Zu diesem Zeitpunkt würde ich die Stimmung als angespannt und hektisch beschreiben. Trotzdem muss ich klar sagen, dass ich selbst, die direkt am Geschehen stand, zu keinem Zeitpunkt Angst oder eine Bedrohungslage empfunden habe.

Nach ca. 10 Minuten beruhigte sich die Stimmung wieder. Es gab wieder Livemusik. Es drang die Information zu mir durch, dass wohl versucht würde, eine Versammlung anzumelden. Wobei sich wohl zunächst keine:r der auf der Straße befindlichen Aktivist:innen, bereit erklärte, die Versammlungsleitung zu übernehmen. Danach hieß es warten auf die Entscheidung. Die Entscheidung erfolgte, eine Versammlung auf dem Gehweg wurde anerkannt, auf der Straße nicht.

Die Aktivist:innen schrien vor Schmerz

Dann wurden die ersten Aktivist:innen von der Straße entfernt. Dabei wurden diese teils geführt, geschleift, getragen. Einigen Aktivist:innen wurden dabei, soweit ich es sehen konnte, die Arme und Hände verdreht, so dass diese vor Schmerz schrieen. Sie wurden so in einen Bereich auf dem Gehweg gebracht, den die Polizei abgesperrt hatte. Der Weg dorthin dauerte ca. 30 Sekunden. Der Bereich war so mit großen Fahrzeugen abgesperrt, dass man nicht sehen konnte, was mit den dorthin transportierten Personen geschah. Ein Aktivist, der von der anderen Seite, in großem Abstand, das Geschehen dort beobachten bzw. filmen wollte, wurde weggeschickt. Auch Medienvertreter:innen wurde – zeitweise – kein Zugang gewährt. Die Polizist:innen trugen zum Teil keine Nummern und wollten diese auch auf Anfrage nicht nennen.

Ich bin nicht bei der Letzten Generation aktiv und werde keine Stellung zu Zielen oder Methoden nehmen. Aber ich bin mit Mitgliedern der Letzten Generation eng befreundet. Ich habe mir aus Interesse bereits Trainings der Letzten Generation angesehen. Von daher weiß ich, dass die Aktivist:innen sich zwar der Aufforderung widersetzen, die Straße zu verlassen – aber keinerlei Widerstand gegen das Entfernen von der Straße leisten! Ich gehe davon aus, dass dies inzwischen sehr gut allgemein bekannt ist. Auch die Polizist:innen wirkten so, als wüssten sie dies ganz genau! Sie näherten sich den Aktivist:innen ruhig – und ohne Helme.

Gewalt, obwohl keine Gefahr oder Bedrohung erkennbar war

Natürlich sehe ich ein, dass Polizist:innen gewisse Griffe einsetzen, um einen für sie sicheren Abtransport zu gewährleisten. Dazu gehört auch, dass es für die Polizist:innen belastend sein kann, wenn sich Aktivist:innen plötzlich fallen lassen. Meiner Meinung nach verringern sich die Gefahren aber nicht durch schmerzende Griffe. Und natürlich kennen die Polizist:innen die Aktivist:innen nicht und ich kann verstehen, dass sie auch damit rechnen müssen, dass jemand unvorhergesehen „austicken“ könnte, wenn sie oder er angefasst wird. Trotzdem kann ich nur in aller Deutlichkeit betonen, dass es dafür beim Verhalten der Aktivist:innen und in der Gesamtlage wirklich keinerlei Anzeichen gab.

Und Gewalt darf doch keine Bequemlichkeitsantwort sein, nur weil man jemanden nicht tragen mag! Es waren mehr als genug Polizist:innen vor Ort, dass die einzelnen Personen, die darauf bestanden, weggetragen zu werden, auch mit drei oder vier Personen hätten getragen werden können. Darüber hinaus wurde mindestens ein Aktivist deutlich schmerzhaft fixiert und trotzdem geschleift obwohl er versuchte, auf die Beine zu kommen.

Kritik sorgt nur für kurze Gewaltpause

Einige Aktivist:innen begannen, die Abtransporte zu filmen und versuchten, mit den Polizist:innen zu sprechen. Kurzzeitig sah es so aus, als würde sich die Situation bessern. Einige Aktivist:innen wurden, an beiden Armen fixiert, aber ohne Schmerzen, von der Straße weggeführt. Weitere Aktivist:innen wurden, ebenfalls ohne Schmerzen, in der Päckchen-Haltung (die Arme unter den Knien verschränkt) weggetragen. Kurz darauf begannen aber die für die Aktivist:innen schmerzhaften Griffe erneut.

Zum Schluss saß eine Aktivistin noch auf der Straße, die demonstrativ ihre Arme unter den Knien verschränkt hatte. Dies ist eine absolut defensive, für die Aktivistin sichere Haltung zum Weggetragenwerden. Sie erweckte den Eindruck, dass sie ruhig und geschult agierte. Das müssen die beiden Polizist:innen auch wahrgenommen haben. Trotzdem versuchten die beiden, an ihre Hände zu gelangen. Ich kann nur annehmen, dass dies geschah, um ihr diese zu verdrehen. Als ihnen dies nicht gelang, wurde die Aktivistin von drei Polizist:innen ohne unnötige Schmerzen weggetragen.

Auch während der Räumung der Straße war die Gesamtstimmung des Geschehens friedlich und übersichtlich. Nur wirklich sehr, sehr vereinzelt gab es noch Versuche, auf die Fahrbahn zu gelangen. Die ruhige Atmosphäre wurde nur von kurzen Sprechchören „Du bist nicht allein“ und „Klimaschützen ist kein Verbrechen“ unterbrochen, mit denen die Unterstützer:innen die Abtransporte kommentierten.

Auf X wird Gewalt gelobt

Ich habe mich entschieden, die Vorfälle auf der Plattform 𝕏 zu veröffentlichen. Es kamen, nicht überraschend, sehr viele Kommentare, die das gewaltvolle Vorgehen der Polizei lobten und feierten. In denen es als gerechtfertigt angesehen wird, eher Gewalt anzuwenden, als Aktivist:innen zu tragen.

Ich würde mir wünschen, die Menschen würden einmal darüber nachdenken, was sie da sagen. Ich kenne mich mit dem Polizeirecht nicht aus und möchte das Gesehene nicht dahingehend bewerten. Ich hoffe sehr, dass das andere tun werden! Trotzdem sagt mir mein Menschenverstand, unabhängig vom Thema, dass Polizist:innen nur dann Gewalt anwenden sollten, wenn eine Bedrohungs- oder Gefährdungslage vorliegt und diese alternativlos ist.

Wie die Polizei agiert, geht uns alle an

Wollen wir mit so einem Polizeiverhalten leben? Ich konnte zu keinem Zeitpunkt Gründe, auf Situation und Verhalten der Aktivist:innen bezogen, erkennen, warum die Aktivist:innen so brutal angefasst werden mussten. Es gibt genug rechtliche Möglichkeiten, dem Widerstand Konsequenzen folgen zu lassen. Es braucht diese Gewalt nicht! Natürlich hat die Letzte Generation sich nicht beliebt gemacht und in der Gesellschaft viel Wut auf sich gezogen. Trotzdem sollte man sich doch darauf verlassen können, dass sich das Verhalten der Polizei immer neutral an der vorliegenden Situation orientiert! Man mag die Ziele der Letzten Generation nicht unterstützen, aber wir alle können doch in unserem Leben in die Lage geraten, Protest äußern zu wollen bzw. zu müssen …

Ich habe Berichte und Videos von über dies hinausgehenden Vorfällen von der gestrigen Versammlung gehört, gelesen und gesehen. Unter anderem mussten zwei Aktivist:innen in einem Krankenwagen versorgt werden. Da ich dies aber nicht live selbst gesehen habe, möchte ich dies nicht weiter ausführen.
Berichterstattung zur Aktion gab es u. a. von der dpa, in der DNN und bei Tag24.

Mit nachdenklichen, klimafreundlichen Grüßen

lhs

Hier noch Eindrücke der Aktion. Die meisten gewaltvollen Situation liegen nur in Videos vor, die ich hier nicht einbetten möchte.

Ein Kommentar zu “Bericht und Kommentar zur „Ungehorsamen Versammlung“ der Letzten Generation in Dresden am 27.04.2024

  1. Ein Aktivist hatte Kreislaufprobleme, wohl aus der Kombination aus Wetter und bedrohlicher Einengung durch die Polizei auf der Brücke. Dieser wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Einem weiteren Aktivisten wurde das Handgelenk so stark verdreht, dass es dick wurde und von einem Krankenwagen vor Ort medizinisch versorgt wurde. Davon gibt es Bilder, bin aber nicht sicher, ob sie im Ticker kamen.

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