Am Samstag beteiligten sich hunderte Menschen in Dresden an der Demonstration zum „Solidarischen Herbst“. Aufgerufen hatte bundesweit in sechs Städten ein Bündnis aus Gerwerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden. Die Demonstrierenden forderten unter anderem zielgerichtete Entlastungen wie einen Mietenstopp, ein höheres Bürgergeld, Soforthilfen, eine bezahlbare Nachfolge für das 9-Euro-Ticket und einen Schutzschirm für die Daseinsvorsorge. Gleichzeitig forderten sie einen Schub für die erneuerbaren Energien sowie dauerhafte Energieeinsparungen und Gebäudesanierungen. Nach der Auftaktkundgebung am goldenen Reiter bewegte sich der Demonstrationszug über die Albertbrücke durch die Innenstadt zum Theaterplatz.

Hier sind die Botschaften von Aufrufenden und Unterstützer*innen:

Silvia Bühler, Mitglied des Bundesvorstands von ver.di:
„Unser Bündnis eint die Sorge um die Menschen, die vor den horrend steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie große Sorgen haben, dass sie diese Preise nicht mehr zahlen können. Uns eint die Sorge um die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Und uns eint die tiefe Überzeugung, dass Hass und Hetze unser friedliches Zusammenleben gefährden. […] Unser Bündnis setzt auf Solidarität. […] Und Putin setzt auch das Nichtliefern von russischem Gas als Waffe ein. Der drohende Mangel an Gas soll unsere Gesellschaft spalten, soll unsere Solidarität mit den Menschen in der Ukraine ins Wanken bringen. Das schafft Herr Putin nicht, unsere Solidarität steht! […] Die Ampel hat schon viele Pakete auf dem Weg gebracht, aber das reicht uns nicht. […] Wir haben eine gewaltige soziale Schieflage, und einige, die Hilfe dringend brauchen, die bekommen die Hilfe zu spät oder gar nicht. Und einige, die gar keine Hilfe brauchen, die bekommen sie. Es muss gezielt unterstützt werden. […] Wenn Unternehmer in dieser Krise auch noch ihre Gewinne erhöhen, dann muss der Staat eingreifen, dann muss er diese Übergewinne abgreifen und verteilen, gerade wo das Geld dringend gebraucht wird. […] Und es braucht aktuell eine Vermögensabgabe, und es braucht dann auch eine Vermögenssteuer. […] Unsere Daseinsvorsorge, die braucht einen Schutzschirm, nicht die Reichen!”
Martin Ahlfeld, Vorstandsvorsitzender der BUND Regionalgruppe Dresden:
„Gerade jetzt bemerken wir sehr deutlich, dass wir abhängig sind von Erdöl, Gas und Kohle. Das alltägliche Leben scheint nicht ohne sie zu funktionieren. […] Gegen diese Ohnmacht, und um der Klimakrise zu begegnen, fordern wir einen bezahlbaren und gut ausgebauten ÖPNV. […] Und es braucht viel Geld für den Ausbau des Fern- und Nahverkehrs mit dem Ziel, die Nutzer zu verdoppeln und Autofahrten zu reduzieren. […] Wir fordern die sofortige Einführung von Mindesteffizienzstandards für Gebäude, damit die Gebäude, die es am dringendsten nötig haben, als erstes saniert werden. Das kostet Geld und darf nicht auf Kosten der Mieter*innen gehen. Wir brauchen daher eine massive Aufstockung der Fördermittel. Mieter*innen sollen nach der Sanierung weniger bezahlen als vorher. […] Wir brauchen ein starkes und gut finanziertes Gemeinwesen, das für Umverteilung und Entlastungen sorgen kann. Sicherheit und Stabilität gibt es nur, wenn wir uns nicht von einer Krise in die nächste Krise hinein manövrieren. Dafür brauchen wir verpflichtende und langfristige Energieeinsparungen. […] Wir sind hier in Dresden genau richtig, denn Sachsen hängt in der Energiewende hinterher. Lieber Herr Kretschmer, hören Sie auf, von Fracking und Atommeilern zu reden und machen sie echten Klimaschutz. Denn nur echter Umweltschutz verhindert klimatische und auch gesellschaftliche Kipppunkte.“
Sebastian Wegner, Bundesgeschäftsführer der Volkssolidarität:
„Die Armut unter der Bevölkerung steigt unaufhörlich in einem der reichsten Länder dieser unserer Erde. […] Wir brauchen Investitionen für eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern. Wir fordern gleichzeitig massive Investitionen in den Klimaschutz. Soziales und Ökologisches darf nicht gegeneinander ausgespielt werden. […] Die Volkssolidarität versorgt mehr als 30.000 Menschen tagtäglich ambulant und stationär. Auch für unsere Einrichtungen steigen die Preise durch die Auswirkung der Inflation. Wir haben den Auftrag, Menschen sicher zu versorgen und fürchten uns vor Schließungen von Einrichtungen. Das darf nicht passieren und die Politik muss gezwungen werden, Lösungen für die Preisentwicklungen auch bei sozialen Einrichtungen zu finden. […] Herr Bundeskanzler Scholz, wir, die Volkssolidarität, stehen bereit für einen Sozialgipfel, um gemeinsam mit unseren Bündnispartnern die Sorgen und Nöte der Zivilgesellschaft zu adressieren. Laden Sie uns ein, sprechen Sie mit uns, zusammen finden wir solidarische Lösungen.“
Norbert Winter, stellv. Geschäftsführer IG BCE Dresden-Chemnitz:
„Bundeskanzler Olaf Scholz hat von einer Zeitenwende gesprochen. […] Die Zeichen der Zeit, sie zeigen Armut, sie zeigen Deindustrialisierung (?) und sie zeigen Krieg. […] Und die aktuellen politischen Entscheidungen und der diese begleitende gesellschaftliche Diskurs, die Diskussionen insbesondere in sozialen Medien, sie verursachen mehr Unruhe, als dass sie helfen. Wir leben in einer Zeit der Widersprüche, so müssen wir leider feststellen, dass die sogenannten Leistungspakete besten Endes nur ein Herumdocktern am System sind. […] Und die von der Bundesregierung abgelehnte Reichen- und Übergewinnsteuer ist der Beweis dafür. […] Die Gasspeicher sind fast gefüllt, doch zu welchem Preis? Selbst der Bundeswirtschaftsminister gibt inzwischen zu, dass wir Mondpreise dafür bezahlen. Doch unsere Bereitschaft, jeden Preis zu bezahlen, trieb den Preis erst in ungeahnte Höhen, und dies nicht nur zu unseren Lasten, sondern auch zu Lasten der ärmeren Länder. […] So muss der Rahmen für einen nachhaltigen Wandel geschaffen werden, beispielsweise durch die Förderung von Power-to-Gas und Wasserstoff. […] Ich habe noch eine durchaus emotionale Botschaft, was den Krieg angeht und die ihn umrankende Orchestrierung. Ich bin einfach nur erschrocken, in was für einem Land leben wir eigentlich, wenn man für eine humanistische Einstellung verunglimpft und beschimpft wird, wie sie Rainer Eppelmann 1982 vor genau 40 Jahren veröffentlicht hat: “Frieden schaffen ohne Waffen”. Frieden schaffen ohne Waffen ist die Erkenntnis, dass die Feder stets den Konflikt beendet, und zwar per Vertrag. Das ist der höchste Anspruch von Menschlichkeit. Ihr gegenüber steht die pervertierte Ansicht, dass mehr Waffen Menschenleben retten. Nur Hass kann so etwas vorantreiben.”
Simone Zimmermann, stellv. Landesgeschäftsführerin Der Paritätische Sachsen:
„Aktuell erreichen uns jeden Tag Anrufe und E-Mails, in denen soziale Einrichtungen uns ihre Sorgen mitteilen. […] Tafeln und Beratungsstellen berichten uns von mehr Menschen, die Bedarf haben als bisher. […] Wir brauchen deshalb jetzt ein klares Signal aus Berlin, aber auch von der Sächsischen Staatsregierung. Wir brauchen ein Signal, dass es konkrete Hilfen für soziale Angebote und gemeinnützige Pflege gibt. Kommen keine Hilfen, sehe ich für die soziale Landschaft in Sachsen schwarz, ein Angebot nach den anderen wird schließen müssen. Wo soll die alleinerziehende Mutter oder der alleinerziehende Vater dann hingehen, wenn sie Hilfe brauchen, um einen Antrag für das Bildungs- und Teilhabepaket zu stellen? Wo soll derjenige hingehen, dem die Schulden über den Kopf wachsen, wenn die Schuldnerberatungsstelle geschlossen ist? Wo soll der Grundsicherungsempfänger hingehen, wenn Mitte des Monats das Geld alle ist, und er sich keine Lebensmittel mehr leisten kann? Wo sollen die Rentnerinnen und Rentner hingehen, die sich außerhalb ihrer Wohnung treffen, um nicht alleine zu sein, wenn der Seniorentreff geschlossen ist? Wo soll die junge Familie Hilfe holen, die mit der Kinderbetreuung überfordert ist, wenn die Erziehungsberatungsstelle geschlossen ist? […] Wer versorgt die Pflegebedürftigen auf dem Land, wenn der Pflegedienst nicht mehr kommt, weil er die Benzinkosten nicht mehr stemmen kann? […] Mögliche Hilfsprogramme dürfen nicht nur profitorientierten Wirtschaftsunternehmen zur Verfügung stehen, nein, auch gemeinnützige Organisationen, Träger und Einrichtungen müssen dringend dabei berücksichtigt werden, denn wir brauchen Angebote, an die sich Menschen wenden können, wenn sie Hilfe brauchen.”
Aktionsbündnis „Herz statt Hetze“:
„Schwere Zeiten brauchen Zusammenhalt, sie erfordern den Mut, Missstände nachdrücklich anzugehen. Wenn die Busfahrer*innen, die uns die Kinder zur Schule bringen, ihre Heizkosten nicht mehr zahlen können, dann betrifft uns das alle. […] Wenn die Nachbarsfamilie mitten in der Nacht abgeschoben wird, weil der richtige Stempel fehlt, dann betrifft uns das auch mit. Wenn ein Boot voller Menschen im Mittelmeer versinkt, weil niemand ihren Notruf beantworten wollte, auch dann betrifft uns das alle! Lasst uns trotz eigener Sorgen nicht die Augen vor dem Leid anderer verschließen. Wir sind nicht hilflos. Wir können und müssen gegen schlechte Politik aufbegehren. Wir müssen unsere Forderung auf Straßen und Plätze tragen für ein gutes Leben in Sicherheit für alle Menschen.“
Lea Lenz, Campact:
„Wir wollen also und wir brauchen eine gerechtere Sozialpolitik und massive Investitionen in den Klimaschutz. Das kostet natürlich viel Geld und da muss die Forderung an dieser Stelle auch ganz klar heißen: Das dürfen nicht weiter die Millionen Menschen stemmen, die jetzt schon nicht mehr über die Runden kommen, die sich jetzt schon Sorgen machen, wie sie bis zum Ende des Monats kommen. Es ist ganz klar an der Zeit, dass Superreiche und Konzerne, die in der Krise sogar noch reicher werden, sich jetzt endlich solidarisch zeigen.“

Ungebetene Gäste

Zur Eröffnung der Demonstration wies Stephanie Maier, politische Geschäftsführerin des BUND Sachsen als Organisator der Demo, darauf hin, dass Rechte und Demokratiefeinde auf dieser Veranstaltung nicht wilkommen seien. Trotzdem fanden sich vereinzelte Personen ein. Gegen Ende der Auftaktkundgebung bekundete der Moderator, dass er verfassungsfeindliche Symbole gesehen habe, aber es natürlich schwierig sei, einzelne Menschen aus der Kundgebung zu drängen.

Auch wurden durch Einzelpersonen der „Friedensinitiative Dresden“ Zettel verteilt, die unter anderem ein Ende der Sanktionspolitik fordert, energetische und soziale Sicherheit durch eine souveräne Außen- und Verteidigungspolitik, die die Interessen der deutschen Bevölkerung verwirklicht und dass es gemeinsam mit anderen Regierungen in Europa und Asien gelingen müsse, die miteinander kämpfenden Seiten zu Verhandlungen zu drängen.

Ebenfalls waren zu Klimaschutzaussagen einzelne Buh-Rufe zu vernehmen. Trotzdem verlief die Demonstration ingesamt ruhig und ohne Zwischenfälle.

Mangelnde Beteiligung

Ein nicht von der Hand zu weisender Fakt der Demonstration war aber, dass statt den angemeldeten 5000 Personen deutlich unter tausend Menschen dem Aufruf folgten. Was sich bereits auf einer Demonstration in Leipzig in der Vorwoche unter ähnlichem Motto gezeigt hatte – statt angemeldeten 10.000 Personen ca. 1500 – setze sich unweigerlich in Dresden fort.

Dies hinterlässt viele Fragen: Lag es wirklich am Wetter, das sich am Vormittag regnerisch zeigte? Lag es an einem ungünstigen Zeitpunkt, samstags um 12 Uhr mittags? Ist ein Dynamo-Spiel am Nachmittag wirklich eine Entschuldigung für die Menschen, nicht für Solidarität, Soziales und Klimaschutz auf die Straße zu gehen? Sind die Menschen noch immer (Demo-)müde und haben noch immer Zerstreuungs-Aufholbedarfe nach den Corona-Einschränkungen? War die Botschaft der Demonstration – „Solidarität“ – vielleicht nicht scharf genug, weil zu selbstverständlich?

Auf jeden Fall bedeutet die Organisation einer Demonstration wie dieser großen Aufwand, menschlich sowie auch finanziell, und eine Aufarbeitung der geringen Teilnahme wäre schon eine Frage von gesellschaftlichem Interesse.

Nur, wie soll man mit Menschen über Gründe sprechen, wenn diese gar nicht anwesend sind?

Bericht von lhs

Weitere Impressionen des „Solidarischen Herbsts“ in Dresden:

Ein Kommentar zu “Demo „Solidarischer Herbst“ in Dresden

  1. Hallo! Erstmal vielen Dank für Euer Engagement und diese wichtige Demo. Ich wollte auch kommen, war aber Freitag krank geworden. Verfolge immer wo welche Proteste u Demos statt finden, selten kann ich aus beruflichen o familiären Gründen teilnehmen. Es ist schwierig, gerade von Armut Betroffene, die sich eine Anreise zB nicht leisten können, auf diese Demos zu bekommen.
    Gleichzeitig macht einem das Gefühl der Ignoranz von Seiten der Politik solcher anständigen Demos (ohne Faschisten o Querdenker) auch traurig.
    Trotzdem hoffe ich weiter ihr könnt wachsen u weiter machen – als Gegenpart u Demokratie-Freunde vielleicht mehr Zulauf finden.
    LG Sandra K.

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