Blog von lhs

Vom 14. bis 18. Oktober reiste ich mit meinem Kind (4 Jahre) von Dresden nach Garmisch-Patenkirchen, um den ehemaligen Skirennläufer Felix Neureuther und den Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zu treffen. Reise und Treffen waren der Preis eines Gewinnspiels im Rahmen einer Klimaschutz-Kampagne des VDV. Im Gepäck hatte ich einen offenen Brief der Parents For Future Dresden mit Unterstützung der Parents For Future Germany an den VDV und Felix Neureuther zur Kampagne.

Ich möchte diesen Blog nicht so lang machen und den offenen Brief für sich selber sprechen lassen. Dennoch müssen zwei Dinge vorab geklärt werden.

Wer ist eigentlich dieser Verband deutscher Verkehrsunternehmen?

Laut Website: „Im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. sind die Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs und des Güterverkehrs mit Schwerpunkt Eisenbahngüterverkehr in Deutschland organisiert.“

Und warum schreiben wir einen Brief an ihn?

Grundsätzlich ist der VDV natürlich einer „von den Guten“ und auch eine Klimaschutz-Kampagne eine tolle Sache. Trotzdem darf man auch Ansprüche an eine gute Sache haben. Die Klima-Kampagne ist im August (2022) gestartet und auf drei Jahre angelegt. Sie läuft bundesweit (Website, Plakate, prominentes Gesicht u. a.) und wird – vermutlich mit nicht wenig Geld – durch Bund und Länder finanziert. Das ist eine große Chance und wir finden es legitim, einzufordern, dass das Maximale für die Mobilitätswende herausgeholt wird.

Sicher müssen die Menschen auf einer einfachen, individuellen, positiven Ebene abgeholt werden, trotzdem sollte die Kampagne auch (!) ehrlich, authentisch (?, andere Bilder mit dem eigenen (?) Audi sind bereits vom Account verschwunden) und kritisch sein. Schon allein die vielfältigen Reiseerfahrungen auf der Strecke Dresden – Garmisch-Patenkirchen und zurück mit Kind waren blogfüllend und haben deutlich gemacht, dass es mit einem Appell zum „Umstieg fürs Klima“ nicht getan ist.

Den Rest erklärt der Brief: zuerst einleitende Worte an Herrn Neureuther, dann der Appell an den VDV und zum Schluss noch eine Zusammenfassung der Forderungen.


Offener Brief an den Verband deutscher Verkehrsunternehmen VDV als Organisator der Klimakampagne bei „gemeinsam #besserweiter“ (vertreten durch den Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff) und Felix Neureuther als Botschafter der Kampagne

von Parents For Future Dresden mit Unterstützung von Parents For Future Germany

Oktober 2022

Lieber Herr Neureuther,

zuerst wollen wir Ihnen danken und sagen, wie wichtig es ist, dass Personen des öffentlichen Lebens wie Sie Gesicht für die Mobilitätswende und den Klimaschutz zeigen!

Wie Sie haben viele von uns ihre Liebe zur Natur in den Alpen oder in der Sächsischen Schweiz entdeckt. Und wie Sie wünschen wir uns für unsere Kinder und Enkel die gleichen schönen Erfahrungen, das gleiche Leben mit der Natur. In der Sächsischen Schweiz ist dies nach dem verheerenden Brand in diesem Sommer nicht mehr möglich. Sicher könnte sich der Wald erholen und durch natürliche Vorgänge sogar klimastabiler und artenreicher hervorgehen. Leider aber ist für unser Klima noch keine Erholung in Sicht – und damit gibt es auch keine Erholungsgarantie für die Sächsische Schweiz.

Die Folgen der Klimakrise werden immer mehr in der Welt, in Europa und in Deutschland sichtbar. Kipppunkte wie das Abschmelzen von Gletschern werden aktiviert und das Zeitfenster für die Stabilisierung des Klimas schließt sich. Gleichzeitig droht der Krieg in der Ukraine zentrale Punkte des Klimaschutzes in Deutschland um Jahre zurückzuwerfen.

Und einige Klimaschützer*innen sind erschöpft. Zum einen durch Pandemie und Krieg, zum anderen, weil nachdem das Thema 2019 groß in die Öffentlichkeit gehoben wurde, noch immer nicht der notwendige Klimaschutz stattfindet. Umso wichtiger sind jetzt die Signale von Personen des öffentlichen Lebens wie Ihnen in die Gesellschaft und auch in die Klimabewegung!

Der Schutz des Klimas wird Rennen gegen die Zeit und Marathon zugleich, gemeinsam mit der Natur, die dabei nicht nur Schutzgut ist, sondern einer der wichtigsten Helfer sein kann, wenn wir ihr Raum und Luft zum Atmen dafür geben – unter anderem mit einer schnellen Mobilitätswende! Danke für Ihre Unterstützung!

Lieber Herr Neureuther, lieber Herr Wolff,

grundsätzlich begrüßen wir die Klima-Kampagne bei „gemeinsam #besserweiter“, und hoffen, dass sie viele Menschen erreicht und motiviert! Auch wir wünschen uns, dass die Mobilitätswende „von unten“, durch eine Abstimmung mit Füßen und Fahrscheinen voran getrieben wird. Doch Appelle an die Menschen, auch durch großartige Vorbilder, sich klimafreundlich zu verhalten, werden nicht ausreichen – und dürfen nicht ablenken von dem, was wirklich nötig ist.

Es gibt Menschen, die sich des Klimas wegen für Bus und Bahn entscheiden, die meisten aber müssen abwägen aus Anbindung, Reisezeit, Preis und Ticketaufwand, Reisekomfort, Barrierefreiheit, Flexibilität und Transportkapazitäten. Das 9-Euro-Ticket hat hierzu viele neue und zukunftsweisende Erfahrungen gebracht: Erstens, die Menschen sind bereit, Bus und Bahn zu nutzen. Zweitens, es gibt viele Strecken, auf denen die Kapazitäten überhaupt nicht ausreichen. Drittens, ein günstiges Ticketsystem kann nicht gerecht sein, wenn nicht alle Menschen entsprechend angebunden sind.

Es braucht für schnellen Klimaschutz jetzt gleichzeitig günstige Tickets sowie ein einfaches Ticketsystem und einen massiven und schnellen Ausbau von Infrastruktur, Fahrzeugen und Personal! Dafür braucht es Geld sowie personelle Planungs- und Umsetzungskapazitäten in sehr großem Umfang!

Deutschland hat die finanziellen Mittel! Noch immer fließen immense Summen in die Subvention des Autos und der (häufig klimaschädlichen) Mobilität besserverdienender Menschen, z. B. über das Dienstwagenprivileg. Dies bringt Vorteile für bestimmte Bevölkerungsteile, nämlich gut bezahlte Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Wir aber fordern, dass alles öffentliche Geld, sowohl direkt als auch indirekt über Arbeitsplätze, in eine klimafreundliche Mobilität fließen muss, die für alle zugänglich ist!

Ist uns nicht allen klar, dass sollte diese Kampagne signifikante Erfolge haben, dass wirklich deutlich mehr Menschen auf ein eigenes Auto verzichten, dass der selbe Bund, die selben Länder, welche diese Kampagne (mit-)finanzieren, sofort wieder massiv Geld in die Automobilindustrie stecken würden, wie es diverse Prämien gezeigt haben?

Es fehlt nicht mehr an einem Plan oder Ideen, wie klimafreundliche Mobilität funktionieren kann, auch wenn es in den ländlichen Regionen großen Erprobungsbedarf gibt. Es fehlt nicht mehr an Signalen, dass die Menschen ÖPNV, Bus, Bahn oder Radwege wollen. Das größte Problem ist in Deutschland das Fehlen einer Transformationsstrategie für Deutschlands wichtigsten Wirtschafts- und Exportzweig der Automobilindustrie (2021 274 Milliarden Euro Inlandsumsatz), die es ermöglichen würde, endlich die klimaschädlichen Subventionen zu beenden – und mit voller Kraft in ÖPNV, Bus, Bahn und Radwege zu investieren. Wir müssen gemeinsam von der Automobilbranche und der Politik einfordern, dass jetzt mit dem Strukturwandel und der konsequenten Arbeit an Strategien begonnen wird, die eine Mobilität mit deutlich weniger individuellen Fahrzeugen nicht nur praktisch, sondern auch ökonomisch möglich machen! Auch der Ausbau der benötigten Elektromobilität, Fahrzeuge und Infrastruktur, muss von Anfang an dieses Ziel berücksichtigen.

Eine großangelegte Klimaschutz-Kampagne wie diese sollte die notwendige Transformation des Mobilitätssektors hin zur Klimaneutralität als Ganzes ehrlich auf den Tisch bringen.

Und: Ein Mobilitätssystem, das auf ÖPNV, Bus, Bahn sowie Fuß- und Radverkehr setzt, schont nicht nur das Klima, indem es CO2 einspart, es spart auch Flächen für fließenden und ruhenden Verkehr ein, ermöglicht mehr Raum für Natur und Artenvielfalt sowie ein gesünderes und kommunikativeres Leben, insbesondere für Kinder und ältere Menschen, gerade in Ballungszentren. Es schafft soziale Gerechtigkeit, weil es für alle zugänglich ist und den Umstand beenden würde, dass einige es sich leisten können, im Grünen zu wohnen, andere dann aber an den vielbefahrenen, lauten, schmutzigen Straßen des Pendlerverkehrs wohnen müssen. Nicht nur das Klima, alle diese Dinge sollten Grund dafür sein, ein-, um-. und/oder auch nur (aus den Autos) auszusteigen.

Wir würden uns über einen weiteren gemeinsamen Einsatz fürs Klima freuen und würden uns gerne mit Ihnen über die Kampagne – und gegebenenfalls zukünftige Kampagnen – austauschen.

Wir fordern:

  • eine Kampagne, die neben individuellen Appellen ehrlich benennt, was für einen klimaneutralen Mobilitätssektor notwendig ist & Mobilitätsgerechtigkeit thematisiert
  • einen gemeinsamen Einsatz für eine andere Mobilitätspolitik: deutlich mehr Geld für ÖPNV, Bahn, Bus, Rad- und Fußverkehr, deutlich weniger öffentliches (!) Geld für klimaschädliche Mobilität & Infrastruktur, sowie Mobilitäts-Ungerechtigkeit (Dienstwagenprivileg)
  • Unterstützung bei der Forderung an Politik & Automobilindustrie, endlich einen klaren Strukturwandel mit dem Ziel zu beginnen, weniger individuelle Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen zu haben (auch mit E-Mobilität)

Mit klimafreundlichen Grüßen
Parents For Future Dresden (Kontakt: dresden@parentsforfuture.de)

Ein Kommentar zu “Mobilitätswende radikal ehrlich kommunizieren – offener Brief an den Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)

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