Von lhs
Ich schreibe dies hier, weil ich heute (Montag) in die MDR-Sendung „Fakt Ist! Wie weit darf Klimaprotest gehen?“ ins Publikum eingeladen bin und mich dort (kurz) zu den Aktionen der Letzten Generation äußern soll. Für mich ist das Thema ziemlich komplex und ich befürchte, im Fernsehen meine differenzierten Ansichten eventuell nicht ganz rüber bringen zu können, deswegen dieses Statement.
Zur Transparenz: Ich bin mit einzelnen Aktivist*innen der Letzten Generation befreundet, nicht erst seit sie dort mitmachen. Und ich tausche mich mit ihnen aus, diskutiere mit ihnen. So habe ich es auch vor der Sendung getan, weil es mir nur fair erschien.
Grundsätzlich teile ich die Verzweiflung der Aktivist*innen der Letzten Generation vollumfänglich! Und ich glaube auch, ihre Strategie zu verstehen und warum sie so handeln wie sie handeln (vor allem durch die Funktionsweise der Medien/Sozialen Medien). Trotzdem sehe ich auch, dass ihre Strategie einen Preis hat und negative Effekte auf andere Menschen in der Klimabewegung. Und ich frage mich, ob und wie hilfreich diese Strategie gerade in der Eindämmung der Klimakrise ist.
Fakt ist, dass ihre Aktionen, bei denen sie stören (manche Menschen bewusst verärgern) und auch verwirren, ernorme Aufmerksamkeit, mediale Reichweite und einen großen öffentlichen Diskurs bewirken, wie es „normale“ Demonstrationen oder Aktionen gerade kaum schaffen.
Mit Aufmerksamkeit, Reichweite und einem großen öffentlichen Diskurs ist es aber nicht getan! Man sollte sich dazu auch die Fragen stellen: Schaffen wir es, unsere Botschaften zu transportieren? Schaffen wir es, ein tieferes Verständnis für die Klimakrise zu bewirken? Schaffen wir es, damit neue Leute zu erreichen? Schaffen wir es, zu Lösungen beizutragen? Schaffen wir es, damit einen öffentlichen und medialen Diskurs zu bewirken, der uns in diesen immensen Herausforderungen weiterbringt? Und ganz konkret bezogen auf die Letzte Generation: Tragen ihre Aktion selbst dazu bei oder helfen sie damit anderen Teilen der Klimabewegung in irgendeiner Form dabei?
Hier ein Disclaimer: Einige Fragen sind, vor allem jetzt im Prozess, schwer zu beantworten. Ich kenne keine Studien und ich kann an dieser Stelle nur meine eigenen Eindrücke schildern. Genau genommen müsste man auch jede einzelne Aktion (Blockade, Tomatensuppe auf Van Gogh etc.) gesondert betrachten.
Zum Transport der Botschaften in den Medien: Ja, in vielen Artikeln werden die Forderungen der Letzten Generation genannt, aber häufig eben nur in ein bis zwei Sätzen, im Rest geht es nur um die Aktion an sich. Und dann tauchen oft auch nur die Schlagworte auf, die man sowieso schon kennt („maximal schneller Ausbau der erneuerbaren Energien“). Was aber auch transportiert wird, ist die Verzweiflung und die Geschichten der Aktivist*innen. Ob aber damit ein tieferes Verständnis der Klimakrise bewirkt wird oder mehr, neue Menschen damit erreicht werden, ist schwer zu sagen.
Und nun zum öffentlichen und medialen Diskurs: Hier sehe ich einen der größten Nachteile und den Preis der Strategie. Es werden mit den Aktionen auch bewusst Menschen getriggert, die vielleicht mit dem Thema Klima nicht so viel anfangen können, es ablehnen oder generell unzufrieden sind. Die Aktionen bieten diesen Menschen (und hier sind auch Journalist*innen, Politiker*innen und andere Menschen mit Reichweite eingeschlossen) Angriffspunkte, ihre Empörung oder Ablehnung fürs Thema zu äußern. Auch diese bekommen durch die Aktionen Gelegenheiten und auch Reichweite! Der Ton wird generell rauer, auch in den sozialen Medien. Es findet oft nur ein Schlagabtausch statt, kein echter Dialog. Und mit einem hundert Mal geäußerten „Klima ja, aber nicht so“, kommen wir doch auch nicht weiter.
Dies belastet auch andere Menschen, die sich fürs Klima engagieren. Gerade diejenigen, die es auf positive Art und Weise versuchen. Auch bei mir gibt es Tage, da will ich mir die Artikel über die Letzte Generation einfach nicht antun, weil mir die häufig negativen Emotionen seelisch nicht gut tun. In den Medien gilt „only bad news are good news“ und die Letzte Generation folgt mit manchen (!) Aktionen einfach nur komplett diesem Spiel und sorgt für die entsprechenden Bilder, die sich dann gut verkaufen. Und leider wird ja auch nicht in allen Artikeln sauber differenziert. Viele Überschriften sagen nur „Klimaaktivist*innen“ oder „Klimaschützer*innen“, je nach Lust und Laune des Schreibenden. Auch für diese ungünstigen Verallgemeinerungen schaffen die Aktionen der Letzten Generation erst die Anlässe.
Als weiteren Nachteil und großes Risiko sehe ich auch, dass durch diesen scheinbaren Erfolg der riesigen Reichweite ein gewisser Frust bei anderen Klimaengagierten ensteht. „Na, wenn sich nur so die Aufmerksamkeit erzielen lässt, dann müssen wir das eben machen“, bekomme ich zu hören. Auch für die Klimaaktivist*innen ist die scheinbare Effizienz der Aktionen, die häufig mit nur wenigen Menschen durchgeführt werden, eine Versuchung (wenn man nicht im Blick hat, was hinter der Letzten Generation für ein „Apparat“ steht). Ich finde aber nicht, dass es gut ist, wenn immer mehr Menschen Verurteilungen und hohen Strafen riskieren.
Das setzt die Klimabewegung unter Druck, zu zeigen, dass es auch anders geht. Aber ich finde, diese Verantwortung sollten nicht nur wir alleine tragen. Auch der Rest der Gesellschaft, die Politik und auch die Medien müssen sich dann aber auch konsequent und ehrlich der Frage stellen: Wenn wir das, was die Aktivist*innen tun, so nicht wollen: was sollen sie denn dann tun, um ihrer Verzweiflung Ausdruck zu verleihen und um – der Dringlichkeit der Klimakrise angemessen! – zu protestieren? Nein, ich muss zugeben, auch ich habe hier nicht die perfekten Antworten.
Um es nochmal ganz klar auszudrücken: Ich bin nicht strikt gegen die Letzte Generation, ich kenne unglaublich engagierte und auch mutige Leute dort, die bereit sind, für Klimaschutz enorm viel zu geben. Aber ich finde auch, dass es zur Verantwortung dazu gehört, sich diese Strategie fortlaufend in der Tiefe anzuschauen mit all ihren Auswirkungen bezüglich der oben genannten Fragen! Auf den öffentlichen Diskurs, auf den medialen Diskurs, auf die Klimabewegung und die Politik. Und es gibt die Letzte Generation ja nun auch schon ein Jahr. Das ist alles, was ich persönlich einfordern würde.
Eine Freundin bei der Letzten Generation sagt gerne: „Einer muss beim Konzert ja auf die Pauke hauen“ und es braucht ja Anschlussmöglichkeiten für verschiedene Menschen in der Klimabewegung. Ja, klar. Aber es wäre eben wenig hilfreich, wenn die Pauke dann alles übertönt, andere Musiker aus dem Konzept bringt oder zu viele Besucher*innen aus dem Konzert vertreibt. Die Letzte Generation kritisiert die For Future-Proteste und sagt öffentlich, dass diese nicht genug bringen – auch sie sollte bereit sein, kritische Fragen auszuhalten.
Nur Kommunikation, gegenseitige Rücksichtnahme und fortlaufende, selbstkritische Reflexion der Strategien können uns gemeinsam voranbringen. Ich hoffe, dass dieser Dialog uns weiterbringt. Nichts zu tun, ist natürlich auch für mich keine Alternative!
Mit klimafreundlichen Grüßen
lhs
„Falls noch jmd anlässlich der Suppen-kartoffelberei-unst Aktionen irgendwann mal mit dem bauchgefühl „aber die schaden der Bewegung“ Argument kommt, empfehle ich diesen Artikel: “
https://theconversation.com/just-stop-oil-do-radical-protests-turn-the-public-away-from-a-cause-heres-the-evidence-192901 :
-Geringere Unterstützung der Demonstranten hat keine Auswirkung auf Unterstütz der Forderungen: „Ich bin für Ihre Anliegen, Ihre Methoden aber nicht“
-Aktionen großer Öffentlichkeitswirkung sind effektiv für Rekrutierung
-Radikale Flanken verstärken gemäßigte Bewegungen
„When we look at public support for the protesters’ demands, there isn’t any compelling evidence for nonviolent protest being counterproductive. People may “shoot the messenger”, but they do – at least, sometimes – hear the message.“ -Prof. Colin Davis
– historisch immer wichtig gewesen um Themen SCHNELL voranzutreiben
– jetzt ist entscheidender Zeitpunkt, wenn jetzt die Tür zum Widerstand verschlossen wird, geht man Risiko ein, das sie verschlossen bleibt und nicht das getan wird, was nötig ist im gesellschaftlichen kipppunkt loszutreten
– Theorie der radical flank, unsere Aktionen schaden nicht dem Klimaschutz, gibt verschiedene gute Studien dazu erst neulich von just stop oil
-Aktionen führen nachweislich dazu, dass sich mehr Personen den Bewegungen anschliessen
Danke für den Kommentar. Es wird in der Sendung auch eine Protestforscherin anwesend sein, die hoffentlich die wissenschaftlichen Aspekte einbringt. Ich weiß aber nicht, ob man da einfach zwischen verschiedenen Bewegungen verallgemeinern darf. Grundsätzlich habe ich auch kein Problem z. B. mit Widerstand wie Waldbesetzungen etc.
Trotzdem finde ich es wichtig, dass andere Leute der Klimabewegung auch ihre Bedenken äußern dürfen. Übrigens habe ich über dieses ganze Statement vor der Veröffentlichung mit einer Person der Letzten Generation gesprochen.
Super Statement! Viel Erfolg!