Von lhs

Aktuell spricht mal wieder alles über die Letzte Generation. Anklebe-Aktionen an Gemälden bzw. Gemälde-Rahmen haben eine große öffentliche Debatte entfacht. Die Aktivist*innen der Letzten Generation polarisieren – und erzeugen damit eine mediale Reichweite, an die kaum eine angemeldete Demo ohne zivilen Ungehorsam aktuell herankommt. Und doch – auch ihre Beweggründe und Forderungen werden regelmäßig mittransportiert. Aber nicht nur die Gesellschaft, auch die Klimabewegung stellt die Letzte Generation vor Herausforderungen.

Fragen

Wie schaffen wir es, als diverse Klimabewegung mit gemeinsamen Zielen, gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamen Emotionen, diese verschiedenen Ausprägungen auszuhalten?

Wie gehen wir damit um, dass die Aktivist*innen der Letzten Generation stark negative Reaktionen und Berichterstattung in Kauf nehmen (nicht nur gegenüber den beteiligten Aktivist*innen, sondern auch gegenüber „Klimaschützer*innen“ allgemein, siehe z. B. Überschrift „Wer schützt Dresden vor den Klimaschützern?“), andere sich das aber für ihren Weg, ihre Arbeit, ihr Engagement – und auch ihr seelisches Wohlbefinden im Engagement – nicht leisten können oder wollen? Und dass wir auch nicht wissen, wie weit die Letzte Generation in der Eskalation noch gehen wird?

Wie gehen wir damit um, dass unter den Aktivist*innen der Letzten Generation Menschen sind, mit denen wir uns über Jahre in anderen Kontexten gemeinsam engagiert haben, die nun das Vertrauen und die Hoffnung in angemeldete Demos, politisches Engagement, Wahlen, Gespräche oder sonstige Nachhaltigkeits-Projekte verloren haben? 

Wie schaffen wir es, nicht allgemein als „Klimaaktivist*innen“ oder „Klimaschützer*innen“ in einen Topf geworfen zu werden – und trotz der zeitweisen Mediendominanz dieser Aktionen die Diversität der Klimabewegung nach außen zu transportieren? Besonders, wenn dies gegebenenfalls sogar gezielt gemacht wird, um Distanzierungen oder Aufspaltungen in „der Klimabewegung“ zu erwirken?

Wie gehen wir damit um, dass es auch – besonders aktuell – eine Radikalisierung gegen Klimaschutz und Klimaschützer*innen gibt, und die Aktivist*innen der Letzten Generation diesen Menschen den Zündstoff liefern? Diesen zivilen Ungehorsam vorleben?

Wie gehen wir damit um, dass einige von uns nun ständig zur Letzten Generation angefragt werden, dass ständig verlangt wird, Statements abzugeben, sich zu positionieren – und teilweise auch darauf gedrängt wird, sich abzugrenzen? Obwohl es nun wirklich der Klimaschutz ist, der unsere ganzen Kapazitäten und unsere volle Aufmerksamkeit braucht?!

Antworten?

Nein – Antworten auf diese Fragen habe ich aktuell nicht. Am Ende muss auch jede*r Klimaengagierte*r diese Fragen nach dem eigenen Gewissen beantworten. Ich persönlich werde mich nicht irgendwo ankleben. Und ja, mich machen die wütenden Kommentare auf die Klebe-Aktionen traurig, gerade, wenn es z. B. Journalist*innen oder Politiker*innen sind, bei denen es in diesem Sommer eine gefühlte Annäherung zum Thema Klimaschutz und Klimaengagement gab. Meine über Jahre gewachsenen aktivistischen Freundschaften hingegen werde ich trotzdem nicht aufgeben.

Und auch zur Diskussion möchte ich dazu geben: Ziviler Ungehorsam ist kein neumodisches Phänomen, sondern war historisch Teil vieler wichtiger Bürgerrechtsbewegungen. Es gibt in der Geschichte viele Aktivist*innen, die Gesetze gebrochen haben, für ihre Sache ins Gefängnis gegangen sind – und heute in Geschichtsbüchern dafür stehen. Keiner kann zum jetzigen Zeitpunkt, auf allen Ebenen der Auswirkungen betrachtet, wissen, ob die Strategie aufgeht, zur Lösung beiträgt oder nicht. Das wussten die Aktivist*innen damals nicht, als sie handelten – und das wissen die Aktivist*innen heute nicht.

Der Preis der Strategie ist hoch, sie birgt Risiken – aber der Preis eines stabilen Weltklimas, das gerade verloren geht, ist am Ende doch auch unermesslich. Die Letzte Generation ist ein komplexes Thema, wie so vieles aktuell, und ich persönlich kann nur appellieren, sich dieser Komplexität zu stellen – so sehr wir uns auch nach klaren, einfachen Narrativen sehnen.

Klar ist aber auch: Je mehr wir über die Letzte Generation diskutieren, darüber reden, wie radikal Klimaprotest sein darf, angesichts der Dramatik der Klimakrise, umso mehr erreichen sie ihr Ziel. Und vielleicht erreichen sie auch, dass andere Menschen motiviert werden, jetzt mehr denn je zu zeigen, dass es auch andere Wege gibt.

Führt das ganze Geschehen um die Letzte Generation nicht sogar besonders die Pflicht von Politik und Gesellschaft vor Augen, jetzt jungen Aktivist*innen schnell und konstruktiv aufzuzeigen, dass es andere und vor allem wirksame Wege gibt, endlich ihr – und unser aller – Recht auf ein stabiles Weltklima zu erwirken?

Mit klimafreundlichen Grüßen

lhs

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert